Hans-Joachim Niemann

Die Nutzenmaximierer. Der aufhaltsame Aufstieg des Vorteilsdenkens

Tübingen (Mohr Siebeck) 2011, X+230 Seiten, mit umfangreichen Register, Beispielverzeichnis usw. 

Volltext-Einblicke via google "Niemann" und "Nutzenmaximierer".

Egoismus ist ansteckend. Vor allem, wenn wir falsche Philosophien im Kopf haben, die den Egoismus rechtfertigen. Jeder denkt doch nur an seinen eigenen Vorteil, also tu' ich's auch!‹ ist eine solche weitverbreitete Philosophie. Sie ist in den letzten zwei Jahrzehnten von den neueren Ökonomikern zu einer modelltheoretisch fundierten Ethik ausgearbeitet worden. Diese angebliche »Ethik der Zukunft« fordert, innerhalb geeigneter Rahmenbedingungen dem »unbändigen Vorteilsstreben« auch im alltäglichen Zusammenleben freien Lauf zu lassen, und nicht nur, wie bisher, im Marktgeschehen.

Die Zukunftsethik der neuen Ökonomiker greift auf Modelltheoretiker der 1980er Jahre zurück. Damals hatten Moralphilosophen wie Robert Axelrod und David Gauthier das so genannte Gefangenendilemma als den angeblichen Lösungsschlüssel für buchstäblich alle sozialen und politischen Probleme dieser Welt entdeckt. Die deutschen Ökonomiker haben diese Ideen zu einer »Ethik der Zukunft« ausgebaut. Die soll nicht länger, wie alle frühere Moral, den Egoismus bändigen, sondern ihm innerhalb geeigneter Rahmenbedingungen freien Lauf lassen.

Niemann analysiert sowohl das heimliche Vorteilsdenken im Alltagsleben als auch die Theorie, die dieses Denken stützt. Er demontiert das Modelldenken der Ökonomiker und zeigt: Wer seine Modelle nicht durchschaut oder die Komplexität des sozialen Lebens unterschätzt, läuft Gefahr, hochentwickeltes, bewährtes soziales Denken durch binäre Anreiz- und Drohungsstrukturen zu ersetzen und es damit zu zerstören. Die angebliche Zukunftsethik des unbändigen Vorteilsstrebens innerhalb staatlicher Regelungen würde Menschen zu Verhaltenstieren degradieren und sie einem Überwachungsstaat ausliefern.

Wir brauchen keine solche »Ethik der Zukunft«. Wir brauchen keine philosophische Begründung des Egoismus im Alltagsleben. Der Autor plädiert für die auf westliche Tradition und Aufklärung  gründende, tatsächlich gelebte »säkulare Moral«. Sie lässt Vorteilsdenken nur zu, wenn der Vorteil nicht auf Kosten anderer geht. »Schade niemandem, hilf wo Du kannst!«. Schopenhauers einfache Devise gilt für uns alle, denn andernfalls würden unerträgliche Probleme das Leben erschweren. Sie gilt vor allem auch für Politiker, Journalisten, Industrielle und Finanzmanager, das heißt für alle, die trotz staatlicher Rahmenbedingungen vielen Menschen schwerwiegend schaden können, wenn sie der falschen Philosophie des konsequenten Vorteilsdenkens folgen.

Die tatsächlich gelebte, säkulare Moral muss nicht revolutionär erneuert werden. Es genügt, sie, wie in den letzten beiden Jahrhunderten, Schritt für Schritt zu verbesseren. Gleichzeitig müssen wir sie gegen die immer wiederkehrenden populistischen Ideologien des Egoismus verteidigen.

Die tatsächlich gelebte, säkulare Moral sollten wir analysieren und klar formulieren. Dann wird sie kritisierbar und verbesserbar. Als Instrument für allmähliche Reformen bietet Niemann seine »Problemlösungsethik« an, die auf den kritischen Rationalismus von Karl Popper und Hans Albert zurückgeht.

*Achtung, Rezensenten! Die Seite ist nicht das Buch!

Ist dieses Buch verständlich geschrieben? Schau nach via google! Geht es von Beispielen aus? Hier ein Auszug:

Verzeichnis wichtiger Beispiele
Anonyme Internetgeschäfte ohne Vertrauensmissbrauch 199
Apfelbeispiel für falsche strukturelle Interpretation 76
Arbeiten für das Wohl der Finanzabteilung 92-93
Arglosigkeit im Urzustand und die Entstehung des Rechts 114
Ärzte und Vorteilsdenken 131
Aufräumen macht Freude 84
Beim Reifenwechsel: Ich helfe gern! - Für 5 Euro? Nein, danke! 51
Blau-Grün-Spiel zur Analyse des Gefangenendilemmas 78
Blutspende in UK und USA: Verlernen von Moral 53
Briefmarke entwendet: Problem, nicht Dilemma 149
Büßen wollen und die größtmögliche Strafe anstreben 89
Das gestohlene Huhn und das Rechtssystem 110
Das Ohmsche Gesetz als analytische Wahrheit 68
Der Porsche im Halteverbot: Rechnung statt Strafe 4
Die eigene Trillerpfeife beim Konzert im Rundfunk 111
Die eigenen Kinder mehr lieben als fremde 13
Die Fabel von den Bienen 24
Die letzten Dummen, die Steuern zahlen 49
Die Letzten werden die Ersten sein! 90-92
Die Mafia und die Befreiung aus dem Gefangenendilemma 35
Die Minimoral des Serienmörders 97
Die Parkuhr nicht bedienen und Geld sparen 26
Die vorprogrammierte Rückkehr zur Kirche 45
Die Wirklichkeit reagiert auf Wirtschaftsmodelle 171
Durch Belohnen verlernen Kinder Moral 51-52
Egoismus und Wahrscheinlichkeit 99
Ein Fake-Programm verhindert das Waldsterben 71
Ein Kind, das schreit: Problem oder Gefangenendilemma? 120
Eremitenbeispiel für subtilste ökonomische Anreize 168
Exakte Klimazahlen für das Loisachtal im Jahr 2050 136
Forscher zwischen Wahrheit und Vorteil 47
Geiselbefreiung in Mogadischu 182
Gewinne beim Verstoß gegen Menschenrechte 117-118
Irreführende ökonomische Sprache 51
Kissingers Zerlegungsmethode überwindet das Gefangenendilemma 133
Klassisches Gefangenenbeispiel 20, 63-65, 89-90
Klimabeispiel für den Nebenarm der Regnitz 56
Konkrete Fälle: Problemlösungsethik oder binäre Vorteilsethik? 120, 148-149
Konsequente Eigennutzmaximierer fordern mehr Moral 177
Kooperation bei zweiteiligem Kodewort 81
Kronzeugenregelung erzwingt das Gemeinwohl 63,86
Leergefischter Fanggrund als Folge des Gefangenendilemmas 125
Leistungsprämien (für Lehrer) reduzieren Sonderleistungen 164
Lohnfortzahlung bei 'Krankfeiern' 127
Luftverpestung, um Kosten zu sparen 25
Mafia-Paten sehen vom eigenen Vorteil ab   96
Modelle als Prokrustesbett 158
Moral gibt es auch in der Geschäftswelt 97
Multiplikativer Gedankenaustausch 80
Neuartige Finanzpapiere: die Rahmenordnung kommt zu spät 170
Ökonomik als Self-fulfilling Theory 49
Preisabsprache unter Bauunternehmern 62
Romeo und Julia: Problem, nicht Dilemma 183
Saatkartoffel-Beispiel 79
Sauna und unterschiedliche Präferenzen 139
Schneeschippen ohne Gefangenendilemma 102
Schwangerschaftsunterbrechung:- Problem, nicht Dilemma 148
Selbstüberwindung als moralisches Ein-Personen-Problem 21-22
Selbstüberwindung des Alkoholikers 160
Sokrates als Überwinder des Vorteilsdenkens 90
Sprung ins kalte Wasser: Gefangenendilemma ohne Kooperationsproblem 77
Totschläger auf U-Bahnhöfen sind nicht im Dilemma 89
Vertragstreue beim Internetkauf 88
Vitamin-C: Verwechslung von Grund und Bedingung 95
Warum ein Kind weint 43
Wenn alle krankfeiern, nur einer nicht 129
Wohngemeinschaft im Gefangenendilemma 83-86
Wohngemeinschaft: keiner will das Licht einschalten 85-86
Zusammenarbeit bei der Verwirklichung der Menschenrechte 81
Zwei Räuber im Gefangenendilemma 21, 35, 61
Zwei-Brüder-zwei-Pflichten-Problem 141-144

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